Vom guten Zusammenleben
Galerie der Reisenden Blätter
ANGELA ANDORRER
Andorrer sammelt außergewöhnliche, oft beschädigte Blätter aus der Natur, trocknet sie und konserviert ihre fragile Schönheit. Mit Acryl, Öl, Tusche, Garn und Perlen setzt sie feine Markierungen, die den Blättern eine neue Identität verleihen. Diese „Blattscapes“ begleiten sie auf Wanderungen, wo die Künstlerin sie in den unterschiedlichsten Landschaften der Witterung, Sonne, Schnee und Wind aussetzt und sie neu verortet porträtiert.
Für die kunstroas 2025 erfolgt eine doppelte Relokalisierung: 12 Motive werden auf Fahnenstoff gedruckt und in der Landschaft des Großarltals installiert. In diesem Spannungsfeld zwischen Schutz und Vergänglichkeit werden Fragen des Seins in der Natur und der Achtsamkeit im Umgang mit ihr verhandelt.
Galerie der Reisenden Blätter © Angela Andorrer
Lange Tisch. Alltagsarchitektur als soziale Bühne
LORENZ PROMMEGGER, X ARCHITEKTEN
Der Lange Tisch © Lorenz Prommegger
Der Tisch steht im Zentrum – nicht nur als Möbel, sondern als Symbol des Zusammenkommens. Zwei Bewegungen: Dehnen und Versammeln. Der lange Tisch fordert eine räumliche Ausdehnung – je mehr Menschen zusammenkommen, desto länger muss er werden. Diese architektonische Geste der „Dehnung“ schafft Raum für Begegnung und signalisiert Offenheit. Ein Tisch für alle – und mehr als das.
Der Tisch wird zur Spielfläche, zur Bühne des Sommerlebens. Vom Brettspielturnier über Bürger*innenräte bis zu spontanen Gesprächen – er gehört allen. „Tischspiel“ heißt auch: Die Tische selbst werden Akteure. Schwarz, blau, rot – jeder Tisch verkörpert eine Idee. Der „Tisch aus vielen“ Latten steht für das Miteinander und den Zusammenhalt im Tal. Die große Verwandlung: Am 13.07. fügen sich alle Tische – von den markanten bis zu den einfachen Biertischen – zu einem großen Tisch zusammen. Das weiße Tischtuch vereint sie symbolisch: Aus vielen wird eins. Aus Unterschiedlichkeit entsteht Gemeinschaft.
Heustadelvariation reloaded
CLEMENS BAUDER; Umsetzung mit KARL ENTACHER & Schüler*innen der HTL Kuchl
Heustadelvariation reloaded © Clemens Bauder
Wie in vielen Bergregionen sind kleine Heustadel auch im Großarltal eng mit dem Landschaftsbild verbunden. Für die kunstroas entwickelte Bauder bereits 2023 in Hüttschlag ein Ensemble an Kleinstarchitekturen, die an die traditionelle Bauform der Rundholzblockbauten anknüpfen und diese neu interpretieren. Nun wird eine Heustadelvariation auf der Fischbacher-Wiese erneut aufgebaut. „Viele Heustadel verlieren ihren ursprünglichen Zweck und verfallen zunehmend – auch im Großarltal. Ihre Interpretation soll darauf aufmerksam machen, dass diese als schöne Mikroarchitektur in der Landschaft erhalten und gepflegt werden sollte. Vielleicht könnten sie auch neu genutzt oder umfunktioniert werden“, so Bauder.
Gläser äugen Lichter
INGRID SCHREYER
Gläser äugen Lichter © Ingrid Schreyer
Die Legende des Hl. Hubertus wird in dieser großformatigen Glasgravur neu interpretiert: Hubertus, der im Jagdfieber angesichts der plötzlichen Erscheinung eines weißen Hirschen – mit einem Kreuz im Geweih – von seinem Vorhaben ablässt und sich bekehrt, wird paradoxerweise Schutzpatron der Jäger – statt der des Wildes.
Märchenhaft steht uns ein farb- und körperloser Hirsch gegenüber. Mit nur einer Geweihstange bestückt, dafür zusätzlich bewaffnet mit einem Waldstock, beäugt er uns kritisch. Es stellt sich die Frage: Wer belebt, wer begehrt, wer versehrt, wer überhöht den Alpenraum? Ein gutes Miteinander mit der Natur setzt einen Blick auf Augenhöhe voraus, das Anerkennen auch tierischer Perspektiven. Erst in dieser Achtsamkeit können wir wirklich verstehen – nicht nur beobachten.
Im Gleichgewicht
HERI & SALLI
Im Gleichgewicht © TVB Großarltal
Spazierbänke laden dazu ein, zur Ruhe zu kommen, die Aussicht zu genießen oder eine Pause einzulegen – sie fördern Passivität und laden zum Träumen ein. Die Bank von heri & salli dagegen fordert Aktivität: Sie sieht vertraut aus, funktioniert aber wie eine Wippe. Wer Platz nimmt, muss Balance halten, sich auf Bewegung einlassen. Die Bank wird zum Symbol für das Zusammenleben: Es braucht Achtsamkeit, Rücksicht und die Bereitschaft, immer wieder ein neues Gleichgewicht zu finden – mit sich selbst und mit anderen.
Volle Wäsch – transparent
MARLENE HAUSEGGER
Volle Wäsch © Marlene Hausegger
Die Künstlerin verwandelt ausgediente Leintücher aus den Hotels des Tales in ein vielschichtiges, ausdrucksstarkes Kunstwerk. Jene Stoffe, die einst die Spuren unzähliger Gäste aufnahmen, werden zu einem neuen Bild ihrer Umgebung. Das Tal, in dem fast 40 Nationalitäten im Tourismus arbeiten, ist geprägt von Bewegung, Begegnung und unsichtbarer Arbeit – insbesondere der von Frauen. Die Arbeit – das tägliche Bettenmachen, das Glätten der Laken – bleibt oft unbeachtet.
Durch das Zusammennähen der alten Leintücher mit farbigen Streifen erschafft die Künstlerin ein erzählerisches Gewebe der Erinnerung. Hände, die sorgsam über den Stoff streichen, geben jenen Gesten eine Form, die sonst unsichtbar bleiben. Am Breitteiweg-Palfen installiert, erhebt sich das Werk als sichtbares Zeichen der Anerkennung – ein textiles Manifest für all jene, deren Arbeit oft unbemerkt bleibt.
Berg-Schule Großarl
Reliquie Natur 02
ANGELA ANDORRER, WERKGRUPPE KLOSTERARBEITEN & FRAUEN AUS DEM GROSSARLTAL
Reliquie Natur 02 ist ein partizipatives Projekt, das historische, textile Klosterarbeitstechniken mit zeitgenössischer Kunstpraxis verbindet. Andorrer initiiert in Zusammenarbeit mit Brigit Aigner von der Werkgruppe Klosterarbeiten und lokalen Akteurinnen aus dem Großarltal einen kollektiven Arbeitsprozess, der künstlerische und kulturelle Praktiken verschränkt. Das Blatt fungiert als zentrales Symbol für Vergänglichkeit und Lebenskraft – zugleich als säkularisierte Reliquie, welche die Natur als würdiges, verehrtes Objekt reflektiert. Der textile Diskursraum thematisiert weibliche Erinnerungskultur und soziale Weitergabe durch Handarbeit. Die entstandenen Werke und ihre Dokumentation werden als sozialer Resonanzraum in der Berg-Schule Großarl präsentiert.
Reliquie Natur 02 © Lanik & Andorrer
Silent Seasons #Diorama
INGRID SCHEYER
In dieser Arbeit schafft Schreyer eine fragile Archivierung des Verschwindens. In Schaukästen aus Wellpappe – Relikte globaler Warenströme – rahmt sie Glasgravuren bedrohter Spezies. Das Glas schützt nicht, es zeigt: geritzte Umrisse zwischen Präsenz und Auflösung. Schreyer verhandelt Fragen ökologischer Schuld im Anthropozän – einer Ära, in der Bewahrung unmöglich scheint. Die Materialwahl – Karton und Glas – wird zur Metapher für Instabilität. Der Batagaika-Krater, Sinnbild geologischer Erosion und Klimakrise, verweist auf irreversible Prozesse. Diese Dioramen richten den Blick nach unten, in Schichten von Zeit und Verantwortung. Es entsteht eine Kunst der Spurensicherung – ein Innehalten angesichts des Verschwindens.
Silent Seasons #Diorama © Ingrid Schreyer